Freitag, 7. November 2014, 14:35 Uhr
Deutschland hat noch immer keinen Internet-Minister.
Gleichzeitig hat Deutschland aber auch irgendwie mindestens drei
Internet-Minister: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Innenminister Thomas de
Maizière und Verkehrsminister Alexander Dobrindt ließen zuletzt – ebenso wie
Kanzlerin Angela Merkel – keine Gelegenheit aus, über das Internet und die
Digitalisierung zu reden. Und mit Günther Oettinger kommt sogar der aktuelle
EU-Kommissar für Europas digitale Agenda aus Deutschland.
Bemerkungen :
Endlich hat auch die Europäische Union erkannt, sie benötigt einen Chef für
die virtuelle Welt. Wie viele Chefs hat denn die "virtuelle Welt in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika, vom Präsidenten, über die Minister
verschiedener Geschäftsbereiche bishin zu den verschiedensten
Nachrichtendiensten.In Deutschland haben wir nur die Drei, oder vielleicht doch
mehr ?
Doch zwischen den sogenannten Digital Natives, die mit
dem Internet aufgewachsen sind, und den Regierenden herrscht noch immer eine
große Kluft. Das könnte auch an einigen Missverständnissen liegen.
1. Netzneutralität wird falsch verstanden
Leider scheint kaum ein Spitzenpolitiker verstanden zu
haben, was der Begriff Netzneutralität bedeutet. Das Missverständnis:
Netzneutralität bedeute, dass jeder im Internet gleich schnell unterwegs ist.
Das war nie der Fall und wird wohl auch nie der Fall sein. Die Gesetze des
Kapitalismus sind beim Zugang zum Netz nicht ausgehebelt – wer mehr zahlt,
bekommt auch einen schnelleren Anschluss. EU-Digitalkommissar Günther Oettinger
forderte kürzlich, dass das, was bei der Post üblich ist, auch im Internet
möglich sein muss – nämlich für einen Express-Brief mehr zu zahlen als für einen
Standardbrief. Darauf muss man wohl antworten: Das war immer der Fall.
Bei Thema Netzneutralität geht es kurzgesagt darum,
dass Telekomfirmen einzelne Anbieter nicht zur Zahlung von Geld dafür nötigen
dürfen, dass ihre Daten ungebremst durchgeleitet werden. Mit der Abschaffung der
Netzneutralität würden die Herrscher über die Netze zu einer Form der digitalen
Wegelagerei eingeladen, Geld für die schnelle Durchleitung von Daten zu
verlangen. Den Transport zwischen Netzprovidern regeln diese untereinander durch
das sogenannte Peering – und lassen sich das in einigen Fällen auch bezahlen.
Die Erklärung, was Netzneutralität genau bedeutet, finden Sie hier: Was ist
Netzneutralität?
2. Die Regeln der Offline-Welt haben in der
Online-Welt ungewollte Konsequenzen
Regelmäßige Zuhörer von Politikerreden können diesen
Satz mitbeten: „Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein.“ Das Internet ist
kein rechtsfreier Raum und war es nie – selbstverständlich behalten sämtliche
Gesetze ihre Gültigkeit auch in der Online-Welt, selbst wenn in einigen Fällen
die Durchsetzung schwierig sein mag. Aber auch dieses Phänomen ist aus der
Offline-Welt bekannt.
Was dabei allerdings zu kurz kommt: Das Internet
verändert durchaus radikal, wer beispielsweise bestimmten Gesetzen unterliegt.
Beispiel Urheberrecht: Die strengen deutschen Regeln des Urheberrechts waren in
der Ära vor dem Internet einmal für nur sehr wenige Verlage bestimmt. Heute im
Zeitalter des Internets ist allerdings jeder in dem Sinne Verleger, dass er
Werke veröffentlicht. Die Folge ist die Anwendung des bisherigen Urheberrechts
auf die Masse der Bevölkerung mit fatalen Auswirkungen wie teuren
Serien-Abmahnungen. So gut wie jeder, der im Internet aktiv ist, wird fast schon
automatisch zum Urheberrechtsverletzer – es reicht dazu, ein Foto bei Facebook
ohne vorher den Rechteinhaber zu fragen.
Die Folge der strikten Anwendung alter Gesetze auf die
Online-Welt treibt zum Teil seltsame Blüten. So haben beispielsweise Anwälte
Facebook-Nutzer abgemahnt, nachdem Dritte auf ihrer Profilseite fremde Fotos
veröffentlicht haben.
3. Datenschutz hat nur noch wenig mit zentraler
Speicherung zu tun
In der wichtigen Debatte um Datenschutz im Internet
herrschen Vorstellungen vor, die von den Auseinandersetzungen der 1980er Jahre
zwischen Bürgerrechtlern und Staat geprägt sind. Damals erstritten sich
Datenschützer gegenüber dem deutschen Staat, nicht von einer Volkszählung
erfasst zu werden. Die Vorstellung aus dieser Zeit: Persönliche Daten werden in
Großrechnern zentral gespeichert.
Wenn heute über die Datensammelei von Google und
Co diskutiert wird, herrscht noch immer die Vorstellung vor, es handle sich um
Daten in riesigen zentralen Computern von Unternehmen. Das ist zwar nicht
falsch, vergessen wird aber, dass wir alle längst im Zeitalter von Smartphones
und Internet zu Datensammlern geworden sind – ob freiwillig oder nicht. Ihre
Daten in sozialen Netzwerken, Fotos von Ihnen und vieles weitere befinden sich
vermutlich nicht nur auf Google- oder Facebook-Servern, sondern auf zahlreichen
Smartphones und PCs in privater Hand. Das vom Bundesverfassungsgericht 1983 als
Grundrecht anerkannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird in Zeiten
eines solchen Kontrollverlustes über die eigenen Daten leider zu einer schönen
Illusion. Der Versuch, einen strengen Datenschutz in der Smartphone-Ära
durchzusetzen, würde wohl paradoxerweise vor allem in einer kompletten
Überwachung enden.
4. Physisches Denken hilft beim Netz oft nicht weiter
Innenminister Thomas
de Maizière ist sich sicher: Das Internet als Aufbewahrungsort für Daten – die
Cloud – ist generell unsicher. Sein Credo: Wer Daten in der Cloud speichert,
muss sich nicht wundern, wenn diese unkontrolliert durch das Internet geistern.
Damit übersieht de Maizière einerseits, dass Nutzer heute oftmals gar nicht
unbedingt mitbekommen, dass ihre Daten in die Cloud gespeichert werden – Apples
iCloud beispielsweise funktioniert auf iPhone und iPad geräuschlos im
Hintergrund.
Noch wichtiger aber ist, dass es nur einen wirklich
wirksamen Schutz gegen das Ausspähen von Daten gibt – und dafür ist der
Speicherort völlig egal: Verschlüsselung. Wenn Sie Ihre Daten mit einer korrekt
umgesetzten Verschlüsselung mit ausreichend langem Schlüssel schützen und dafür
Sorge tragen, dass nur Sie Zugriff auf den passenden Schlüssel haben, könne Sie
Ihre Fotos am Brandenburger Tor auf USB-Sticks verteilen oder gleich öffentlich
ins Netz stellen – nicht einmal die NSA kommt dann daran. Es müssen übrigens
keine „deutschen Algorithmen“ sein – diesen Begriff haben tatsächlich schon
Politiker in den Mund genommen. Öffentlich dokumentierte und von Experten als
wirksam anerkannte Algorithmen reichen – die meisten davon kommen aus den USA.
Kontakt zum Autor: stephan.doerner@wsj.com
http://www.wsj.de/nachrichten/SB11550989027533334316504580262412895621150