derStandard, Wien, online-Ausgabe 23.05.2012
Hoffnungsträger
Von Quantencomputern und Quasiteilchen
23. Mai 2012, 19:01
·
abbildung: ritsch
Das widerspenstige Kaliumatom in der Mitte stößt die kleineren
Lithiumatome weg. Der so entstehende komplexe Zustand wird als
Quasiteilchen beschrieben.
·
Innsbrucker Forscher bringen die komplexe Welt der Elementarteilchen
einer Nutzung näher - Zwei Studien in "Nature" publiziert
Innsbruck - Auf die praktischen Anwendungen quantenphysikalischer
Phänomene werden große Hoffnungen gesetzt. Der Quantencomputer soll die
Informationsverarbeitung revolutionieren, widerstandsfreie Übertragung
von Energie ist ein weiteres Ziel.
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Seit Jahren sind zwei Innsbrucker Institute in der Fachwelt bekannt
dafür, den Weg zur Realisierung solcher Vorstellungen zu ebnen.
Gleichzeitig haben sie gerade in der Fachzeitschrift "Nature" ihre
neuesten Forschungsergebnisse veröffentlicht.
Das Team um Rainer Blatt am Physik-Institut der Universität Innsbruck
arbeitet an einer Schnittstelle zwischen Quantencomputer und
Quanteninternet. Die Forscher nutzen dabei das Phänomen der
Verschränkung von subatomaren Teilchen. Mit dessen Hilfe können nicht
nur die Computer selbst ungleich schneller und komplexer arbeiten als
herkömmliche Rechner. Es dient auch zur Übertragung der Information.
Konkret ist es den Physikern gelungen, ein Ion mithilfe eines gezielten
Lasers anzuregen, das heißt in einen höheren Energiezustand zu
versetzen. Dabei entstehen mit dem Ion verschränkte Photonen - Teilchen,
die über beliebige Distanzen mit dem Ion verbunden sind. Sie haben
perfekt definierte gemeinsame Eigenschaften. Dies ist nicht zum ersten
Mal gelungen, aber, wie die beteiligte Forscherin Tracy Northup betont,
"die Ausbeute der verschränkten Photonen ist um ein Vielfaches höher".
Außerdem kann durch Änderungen am Laserstrahl die Verschränkung beliebig
eingestellt und ein äußerst präziser Quantenzustand erreicht werden.
Noch ist keine Information übertragen worden, aber Fernziel ist es,
durch Verschränkung zwischen Materie und Licht entfernte Prozessoren
miteinander zu verbinden.
Eine Millisekunde Leben
Den Innsbrucker Kollegen am Institut für Quantenoptik und
Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist
es hingegen gelungen, "Quasiteilchen" zu zähmen. Das sind keine
eigenständigen Elementarteilchen, vielmehr Zustände bzw. Eigenschaften
eines Teilchens, das mit seiner Umgebung in Wechselwirkung steht.
Konkret geht es hier um ein "repulsives Polaron", ein Kaliumatom, das
sich durch Quantengas aus Lithium bewegt und dabei die Lithiumatome
abstößt. Das Phänomen wurde zuerst an Elektronen beobachtet, die einen
Festkörper beim Durchdringen "verzerren".
Die Zähmung des widerspenstigen Teilchens gelang dem Team um Rudolf
Grimm, indem es das Gas auf nur ein Millionstel Grad über dem absoluten
Nullpunkt (minus 273 Grad) abkühlte und damit die Eigenschaften des
ansonsten extrem flüchtigen abstoßenden Polarons untersuchen konnte.
In diesem Zustand der Quasiteilchen können die Forscher komplexe
Prozesse auch in Festkörpern vereinfacht beschreiben. Normalerweise
zerfallen die Partikel in Festkörpern und auch in Gasen sehr rasch. Zu
ihrer Überraschung stellten Grimm und seine Mitarbeiter aber fest, dass
die von ihnen erzeugten Polaronen "eine gegenüber früheren Experimenten
um das Zehnfache gesteigerte Lebensdauer hatten", was für viele
Beobachtungen von Nutzen ist und etwa zum besseren Verständnis von
Hochtemperatursupraleitung beitragen kann: widerstandsloser
Leitfähigkeit nicht nur nahe am absoluten Gefrierpunkt.
Natürlich ist alles relativ: Die Lebensdauer der Polaronen beträgt
gerade einmal eine Millisekunde. (APA/mf, DER STANDARD, 24.5.2012)
Abstracts in "Nature"
· "Metastability and coherence of repulsive polarons in a strongly
interacting Fermi mixture"
· "Attractive and repulsive Fermi polarons in two dimensions"