Computer übernehmen Handel
Wie menschlich ist die Börse?
Von Samira Lazarovic
Vollautomatische Handelsprogramme, die auf geheimen
Algorithmen basieren, Hochfrequenzhändler, die in Sekundenbruchteilen an- und
verkaufen. Da muss ja nicht nur ein Uli H. den Überblick verlieren. Oder?
"Europäische Aktieninvestoren platzierten im
vergangenen Jahr mehr Order über Computer als über Händler aus Fleisch und
Blut", meldet die Nachrichtenagentur Reuters. "In den USA nehmen die
Aufsichtsbehörden den Hochfrequenzhandel unter die Lupe", schreibt das "Wall
Street Journal". "Der zu einer Haftstrafe verurteilte Bayern-Chef Ulrich Hoeneß
hat irgendwann vollkommen den Überblick über seine jährlich etlichen tausend
Devisengeschäfte verloren", tönt es quer durch die deutschen Medien.
Jede Sekunde zählt
Wer derzeit über Börsen und Computer nachdenkt, stellt
sich nicht mehr die Frage, welcher Teil des Börsenhandels automatisiert ist,
sondern welcher Teil noch von Menschenhand gemacht ist. Gleichzeitig treibt etwa
der Hochfrequenzhandel mit seinen in Mikrosekunden getätigten Order die
Transaktionen auf eine Taktzahl hoch, die für Privatanleger kaum
nachzuvollziehen ist. Bereits 2011 gingen Marktexperten davon aus, dass 60
Prozent des deutschen Xetra-Handels auf ultraschnelle Handelsprogramme
zurückzuführen sind. Wie viel Prozent mögen es heute sein? Und ist irgendwann
die Grenze des Computeranteils am Börsenhandel erreicht?
Zuruf und Zettel waren gestern
Dr. Frank Herkenhoff, Leiter Media Relations Deutsche
Börse AG
Bei diesen Fragen muss Frank Herkenhoff,
Pressesprecher der Deutschen Börse Group lachen. "2014 sollte die Tatsache, dass
Computer am Börsenhandel beteiligt sind, ebenso selbstverständlich sein, wie die
Nutzung von Mobiltelefonen." Es sei eher die Ausnahme, dass eine Person manuell
eine Ordermaske aufrufe, um einen Auftrag an der Börse zu platzieren. Große
institutionelle Investoren wie Banken, Versicherungen oder Hedgefonds würden
selbstverständlich computergenerierte Handelsprogramme nutzen. "Die Vorstellung
von Händlern, die mit Zuruf und Zettel agieren, ist ebenso veraltet, wie die
einer Auto-Fertigungsstraße, bei der die einzelnen Teile nicht mit Hilfe eines
Roboters, sondern noch komplett per Hand montiert werden."
Durch die Schnelligkeit und den guten Mix aus
verschiedenen institutionellen Anlegern wie Banken, Fondsgesellschaften und
Versicherungen sowie einigen Millionen Privatanlegern aus 18 Ländern bringe der
Handel aber sehr reale Kurse hervor, ist der Pressesprecher überzeugt. An den
Kursen könne man ablesen, was die Masse über ein Unternehmen denke. Hinzu komme,
dass mittlerweile Informationen weltweit gleichzeitig verfügbar sein. "Hatte
beispielsweise ein Dax-Unternehmen früher etwas Kursbewegendes mitzuteilen,
wurde noch ein Zettel auf ein Faxgerät gelegt. Da hat es eine Weile gedauert,
bis das bei jedem Investor ankam und im Kurs reflektiert wurde."
Der geheimnisvolle "Fat Finger"
Vollkommener Markt
Der vollkommene Markt ist ein ökonomisches Modell, in
dem angenommen wird, dass alle Marktteilnehmer (Anbieter und Nachfrager)
ausschließlich nach ökonomischen Grundsätzen handeln.
Dazu müssen einige Bedingungen erfüllt werden:
Markttransparenz, Homogenität der Güter, Rationalität der Marktteilnehmer,
unendlich schnelle Reaktion und freier Marktzutritt. In der realen Wirtschaft
werden diese Bedingungen de facto nie ganzheitlich erfüllt. Der Handel an der
Börse gilt als gute Annäherung an die Idee des idealen Marktes.
Klingt so, als ob der computergestützte Handel an der
Börse den vollkommenen Markt geschaffen hat. Aber was passiert, wenn sich
beispielsweise im Hochfrequenzhandel die Börsenprofis schlicht bei der Eingabe
vertun und es zu einem "Flash Crash" wie im Mai 2010 kommt? Damals waren die
Börsenkurse innerhalb von Minuten heftig eingebrochen. Als Ursache wurde eine
Verkettung verschiedener Umstände vermutet: Ein Aktienhändler, der sich um
mehrere Zehnerpotenzen vertippt hatte, eine Lawine von elektronischen
Verkaufsorder durch das Fallen eines Limits und die Handelsaussetzung bei
mehreren Handelssystemen aufgrund starker Kursdifferenzen.
"Der Mythos vom 'Fat Finger' ist einfach nicht
totzukriegen", meint Herkenhoff dazu. Gerade am Anfang des Computerhandels in
den 1990er Jahren mag das schon mal vorgekommen, einfach, weil die
Funktionsweise der Computer und der Umgang mit ihnen noch nicht
selbstverständlich waren. Seither hätten aber auch die Börsen und deren
Teilnehmer Lernprozesse durchlaufen. Wenn sich ein Händler heute bei der Eingabe
vertue, führe das nicht zwangsläufig dazu, dass es auch zur Ausführung der Order
komme, da stünden mehrere Sicherheitsmaßnahmen davor. "Da kann jemand nicht nur
mit dem Finger, sondern gleich mit der ganzen Faust draufhauen. Erst einmal
müsste er bestätigen, dass er diesen Trade tatsächlich ausführen will, bevor
etwas passiert. Und wenn der eingegebene Preis zu weit vom aktuellen Kurs liegt,
wird der Handel automatisch unterbrochen."
Diese sogenannte Volatilitätsunterbrechung sei eine
von mehreren Sicherheitsvorkehrungen, erklärt Herkenhoff. Dafür würden von
Seiten der Börse "Leitplanken" eingezogen, die der aktuelle Preis weder nach
oben noch unten durchbrechen dürfe. Diese "Leitplanken" werden ständig neu
berechnet. "Werden sie durchbrochen, wird automatisch der Handel gestoppt. Dann
haben alle Händler etwa zwei Minuten Zeit, diese Order anzuschauen und darauf zu
reagieren." Wo die Leitplanken liegen, verrät die Deutsche Börse nicht, damit
niemand dagegen spekulieren kann.
Erst wenn der Markt entscheide, dass der neue Preis
für eine Aktie tatsächlich soweit vom alten entfernt sein soll,
würde das nach
der Handelsunterbrechung passieren, betont der Pressesprecher. "Die Aufgabe der
Börse ist aber letztlich, den Handel zu ermöglichen. Wir sind weder per se dafür
da, Kurssprünge zu deckeln, noch Kursstürze zu verhindern. Wir sorgen für eine
sichere und stabile Infrastruktur, das ist unser Neutralitätsanspruch."
Schuld ist immer der Computer
Interessant sei aber die Wahrnehmung der Anleger,
meint Herkenhoff. "Süffisant gesprochen könnte man sagen, wenn es runter geht,
waren es immer die Computer, wenn es hoch geht, gab es natürlich gute,
fundamentale Gründe. Es sind aber immer dieselben Computer und Akteure.
'Psychologische Schwellen' etwa lassen Computer völlig kalt, sie folgen nur den
vorher eingegebenen Parametern."
Eben diese Rationalität wird von Befürwortern des
algorithmischen Handels neben der höheren Transparenz, der verbesserten
Liquidität und den geringeren Transaktionskosten ins Feld geführt. Doch nicht
nur in guten, sondern halt auch in schwierigen Marktlagen kann diese Liquidität
Trends verstärken.
Und egal, bei welcher Geschwindigkeit:
Vollautomatisierte Handelssysteme sind immer nur so gut oder schlecht, wie die
Menschen, die sie programmiert haben. Dass sich Hochfrequenz-Händler
beispielsweise durch ihr schnelles Handeln ständig vor Privatanlegern drängeln
können, bereitet auch der Bundesregierung Sorgen. Einem Gesetzesentwurf zufolge
sollen einige Praktiken künftig als Marktmanipulation gelten. Dabei sollen etwa
diejenigen bestraft werden, die gar nicht die Absicht haben zu handeln, sondern
mit ihren Aufträgen nur die Börsensysteme stören oder andere Börsianer täuschen
wollen. Als ein Auswuchs dieser Praktiken gelten etwa die "Mini-Flash-Crashes",
bei denen Einzelwerte innerhalb von Sekunden bis zu 50 Prozent an Wert
verlieren, nur um sich ebenso schnell wieder zu erholen.
Man müsse sich an die Börsenrechner gewöhnen, wie man
sich dran gewöhnt hat, dass ein Navigationsgerät einen in einer fremden Stadt
meistens ans Ziel bringen kann, meint Herkenhoff. Daran könnte man sich
vielleicht tatsächlich gewöhnen. Aber was ist mit der Tatsache, dass die Börse -
Hochfrequenzhandel hin oder her - immer noch so menschlich wie in den besten
Tulpenzeiten ist?
Quelle: n-tv.de