Kunstforschung
Hightech-Scanner gibt neue Einblicke in
Caravaggios "David"
Am Kunsthistorischen Museum Wien wird bis ins
kleinste Pigment untersucht, was sich hinter Caravaggios "David"
verbirgt
Julia Sica 25. Juli 2019, 11:00
Caravaggios "David mit dem Haupt des Goliath"
(um 1600). Dem barocken Meister ist im Herbst eine Schau am
Kunsthistorischen Museum in Wien gewidmet.
KHM-Museumsverband
Wie eine Trophäe streckt David den
Betrachtenden den abgeschlagenen Kopf des Goliath entgegen, dessen Mund
in einem letzten Schrei weit aufgerissen ist. Der biblische Mörder trägt
sein Schwert locker abgestützt, der schmale, aber muskulöse Körper wird
mit halb nackter Brust unter der Leinenbekleidung in Szene gesetzt. Zu
enthüllen gibt es auf diesem Bild allerdings noch mehr: Der für den
Barockmaler Caravaggio typische schwarze Hintergrund, vor dem er seine
Motive markant beleuchtet, verbirgt ein zweites Bild.
Diese Erkenntnis ist nicht neu: Bereits im
Jahr 1932 wurde Caravaggios "David mit dem Haupt des Goliath" einer
Röntgenuntersuchung unterzogen. Die Bildoberfläche ließ vermuten, dass
sich etwas darunter befand, denn die Struktur gewisser Pinselstriche
passte nicht mit dem Dargestellten zusammen. Das Ergebnis der damaligen
Durchleuchtung zeigt eine geisterhafte Überlagerung des David mit drei
weiteren Gestalten.
Eine 2001 publizierte Röntgenaufnahme zeigt
auch das Gemälde, das Caravaggio übermalte.
Foto: KHM-Museumsverband
Eine Neuanschaffung des Wiener
Kunsthistorischen Museums soll das Mysterium vollends aufklären. Seit
dem Frühjahr ist ein Makro-XRF-Scanner in Betrieb, der Einzige, der im
Eigentum eines österreichischen Museums ist. Sein mobiler Messkopf fährt
das Gemälde Stück für Stück ab. Dabei lässt sich mittels
Röntgenfluoreszenz analysieren, welche Elemente in welcher Intensität in
einem Bildpartikel vorhanden sind. Von diesen Elementen lässt sich auf
die verwendeten Pigmente schließen. Der kleinste Strahlendurchmesser
beträgt einen halben Millimeter. Für ein 30 mal 60 Zentimeter großes
Werk werden so etwa acht Stunden benötigt, bis es gescannt ist.
Eine Frage der Elemente
Auch der Leiterin der Restaurierwerkstatt der
Gemäldegalerie liefert die Röntgenfluoreszenzanalyse wertvolle
Informationen. "Viele restauratorische Maßnahmen der vergangenen hundert
Jahre waren letztendlich schädlich für die Originale", sagt Elke
Oberthaler. Daher werde nun im Zusammenwirken von Kunst- und
Naturwissenschaften versucht, genau abzustecken, welche Eingriffe
sinnvoll sind: "Wenn Schadensbilder wie Farbveränderungen auftreten,
lassen sich die Möglichkeiten per Elementbefund besser ausloten."
Auch die Überarbeitungen der Künstler selbst
treten zutage, sodass Forschende mehr über ästhetische Entscheidungen
und den Werkprozess erfahren können. "Das macht das Gerät sowohl für die
Konservierungswissenschaften als auch für Kunsthistoriker spannend",
sagt Stefan Weppelmann, Direktor der Gemäldegalerie. "Es kann Fakten
liefern, die vor einigen Jahrzehnten noch nicht bestimmbar waren – etwa
in der Frage, wie viel des Originals sich noch auf einem Bild befindet."
Der Hintergrund von Caravaggios "David",
enthüllt durch Röntgenfluoreszenz: Blau markierte Flächen weisen auf
Kupferpigmente hin, rote auf Quecksilber bzw. Zinnoberrot.
Foto: KHM-Museumsverband
Caravaggios berühmtes Gemälde auf Holz misst
mit gut 90 mal 116 Zentimetern mehr, als in einem einzigen Scanprozess
untersuchbar ist. So mussten die einzelnen Bildausschnitte nacheinander
abgetastet werden, an der Zusammenstückelung arbeitet man derzeit. Die
Scans der Teilbereiche geben aber bereits deutliche Hinweise auf die
Farbgebung des versteckten Bildes. Katharina Uhlir vom
naturwissenschaftlichen Labor des Museums erläutert, was in der unteren
linken Ecke erkennbar ist: "Die blaumarkierten Flächen zeigen, wo das
Element Kupfer gefunden wurde. Kupferhaltige Pigmente sind blau oder
grün wie Azurit oder Grünspan. Am Schild und an der Struktur, die ein
Schwertknauf sein könnte, gibt es rot markierte Stellen. Sie weisen auf
Quecksilber hin, was wiederum auf Zinnoberrot schließen lässt."
Recycling unter Nachbarn
Da Caravaggio bei diesem Werk hauptsächlich
Weiß-, Schwarz- und Erdtöne verwendete, lässt es sich farblich gut von
dem darunterliegenden unterscheiden. Dieses stammt von einem anderen
Maler, der im Stil des Manierismus eine mythologische Szene darstellte:
Venus, Mars und einen Putto. Für die Forscherinnen und Forscher gehören
Rekonstruktion und Einordnung dieses Bildes zu den nächsten Schritten,
bis die Ergebnisse publiziert und auch der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht werden sollen.
Und der Grund für die Übermalung des älteren
Gemäldes? Wahrscheinlich ein pragmatischer, wie der Kunsthistoriker
Weppelmann vermutet: Der Bildträger wurde schlichtweg recycelt.
Caravaggio, der 1571 unter dem Namen Michelangelo Merisi geboren wurde,
lebte zur Zeit der Bildentstehung – um 1600 – in Rom. Hierhin zog es
viele Künstler, ihre Ateliers befanden sich in unmittelbarer
Nachbarschaft zueinander und standen in engem Austausch.
"Bildplatten waren kostbar und wurden auch
weitergegeben. Ein Maler wie Caravaggio, der in seiner Frühzeit in Rom
nicht sehr vermögend war, hat wohl ein verworfenes Gemälde von einem
Nachbarn benutzt", sagt Weppelmann. "Obwohl Caravaggios üblicher
Malgrund die Leinwand war, hat er sicher nicht gezögert, eine Holztafel
zu nehmen, die gerade zur Verfügung stand." So übermalte er Venus und
Mars mit einer dünnen Ockerschicht, drehte die Platte um 90 Grad und
erschuf jene David-Darstellung, die im 17. Jahrhundert in den Besitz der
Habsburger kam.
Das Kunsthistorische Museum besitzt neben drei
Gemälden des Meisters die bedeutendste Sammlung caravaggesker Malerei
außerhalb Italiens. Dieser wird ab 15. Oktober erstmals eine Ausstellung
gewidmet, für die neun weitere Caravaggio-Bilder nach Wien kommen.
Daneben werden Werke des Bildhauers Gian Lorenzo Bernini präsentiert,
der es wie sein berühmter Zeitgenosse vermochte, starke Gefühle
darzustellen – und auszulösen. (Julia Sica, 25.7.2019)
Weiterlesen:
https://www.derstandard.at/story/2000106597613/hightech-scanner-gibt-neue-einblicke-in-caravaggios-david